Teil 1: Arbeits-, Lern- und Kommunikationsplattform
Teil 2: Identity- und Access-Management (IAM)
Im Jahr 2019 haben die meisten Schulen, die ich kenne, immer noch kein WLAN, keine Cloud, keine Arbeitsplattform, viele auch kein Lernmanagementsystem. Kein elektronisches Klassenbuch, keinen Online-Kalender, kein synchronisiertes Adressbuch, keine Dienstmails, erst recht keinen Messenger, um schnell und sicher mit Schülern oder Eltern zu kommunizieren.
Und da, wo schon ein paar Tablets angekommen sind, werden Dateien per AirDrop aufs iPad geschickt, das der Lehrer aber nicht mit nach Hause nehmen darf. An manchen Schulen ist nicht mal das möglich, weil das Kommunale Rechenzentrum die Kommunikation der iPads untereinander im WLAN aus Sicherheitsgründen verbietet.
Stattdessen werden weiter tausende Arbeitsblätter kopiert, Vertretungspläne auf Papier ausgehängt, und Lehrermails lauten micky76@maus.com. Ernsthaft, die Mail habe ich erfunden, aber Lehrer nutzen zuhauf solche privaten Adressen.
KMK definiert IT-Grundausstattung
Ende 2016 hat die KMK ihre Strategie für eine „Bildung in der digitalen Welt“ veröffentlicht, die seitdem von den Ländern umgesetzt werden muss. Die KMK gibt darin ein Raster von Medienkompetenzen vor und definiert unter anderem eine technische Grundausstattung für Schulen. Medial verkürzt heißt es seitdem, Schulen brauchen Breitband, WLAN und Präsentationstechnik. Natürlich wäre es schön, wenn drei Jahre später wenigstens diese drei Maßnahmen realisiert wären.
Aber weitere Punkte, die die KMK “als integrale Bestandteile schulischer IT-Strukturen” definiert (KMK, Kap. 2.2.3, siehe Grafik), werden häufig kaum beachtet oder nicht systematisch mitgedacht. Und das, obwohl sie sowohl technisch wesentlich sind als auch gesetzt sein sollten, denn die KMK setzt diese Punkte – und das ist erfreulich weitsichtig – als „Ausgangspunkt und Voraussetzung allen digitalen Lehren und Lernens“ in Schulen voraus (ebd., eigene Hervorhebung).
Man kann das durchaus so lesen, dass eine umfassende IT-Infrastruktur geschaffen werden muss, ohne dass die Schule auch nur eine einzige Zeile eines pädagogischen Medienkonzeptes vorlegt. Der Digitalpakt Schule folgt übrigens dem Leitsatz “Keine Ausstattung ohne Konzept” und steht damit im Widerspruch zum Beschlusspapier der KMK, denn selbst Selbstverständliches muss begründet werden.
Aber erst wenn die von der KMK benannte Grundausstattung vorhanden ist, können wir von einem Arbeiten und Lernen sprechen, wie es im Jahre 2019 selbstverständlich sein sollte. Erst wenn Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte mit eigenen oder schulischen Geräten problemlos im schulischen WLAN arbeiten können, und das überall und jederzeit, erst wenn die Internetleitung dabei nicht in die Knie geht (die ISS ist besser versorgt als jede Leuchtturmschule), erst wenn sie dabei auf Kommunikationsdienste, Lernplattformen und sichere Clouds zugreifen können, erst wenn das Lernen ohne Medienbruch möglich wird, erst wenn die sensiblen Daten durch zentrale Identity- und Access-Management-Systeme (IAM als erweitertes IDM) vor dem Zugriff durch die Big Five, die kleinen Verlage und die vielen Lern-Apps geschützt sind (dazu mehr in Teil 2), erst dann können wir an ein Lernen im digitalen Wandel denken, so formuliert es das Land NRW, oder an ein Lernen unter den Bedingungen der Digitalität, wie Mediendidaktiker Axel Krommer unter Bezug auf Stalders “Kultur der Digitalität” definiert. Erst dann können Schulen ein pädagogisch sinnvolles und vor allem innovatives Medienkonzept entwerfen.
Digitalpakt hilft Schulträgern nur begrenzt
Für die Ausstattung sind die Kommunen zuständig. Und inzwischen haben auch fast alle Schulträger erkannt, dass Schulgebäude eine strukturierte Verkabelung brauchen, damit die ganzen künftigen Geräte professionell durchs Netz gesteuert werden können. Machen wir ein Häkchen dran, hier helfen auch die Fördermittel aus dem Digitalpakt. Genauso für das WLAN-Netz und die Controller. Zweites Häkchen. Fast. Dass nämlich vielerorts immer noch kein WLAN läuft, liegt auch daran, dass die Auftragsbücher der Firmen übervoll sind, viele Ausschreibungen der Kommunen laufen leer.
Die Schulträger müssen sich auch darauf vorbereiten, dass ein enormer technischer Support auf sie zukommt, weil darunter auch Betrieb und Wartung verstanden wird. Voll ausgestattete Schulen sind in ihrer Größenordnung schließlich mit Großunternehmen vergleichbar, sie sind meist größer als die eigene Stadtverwaltung. Hier können wir noch lange kein Häkchen dran machen, denn der Digitalpakt ermöglicht nur in ganz bestimmten Fällen Fördergelder für den Support, gänzlich ausgenommen sind Personalkosten, wie Journalist Jan-Martin Wiarda trefflich kommentiert. Die Förderung von mobilen Geräten ist im Digitalpakt auf 20 Prozent gedeckelt und an bestimmte Voraussetzungen geknüpft, auch hier bleibt weiterhin ein Häkchen offen.
Ausdrücklich förderfähig, aber von Schulen und auch medial weit weniger beachtet, sind “digitale Lehr-Lern-Infrastrukturen (zum Beispiel Lernplattformen, pädagogische Kommunikations- und Arbeitsplattformen, Portale, Cloudangebote)” (§ 4 Abs. 1 S. 3 Verwaltungsvereinbarung). Halbes Häkchen, hier müssen wir noch dran arbeiten. Und das wichtige Thema Identity-Management wiederum verweist der Digitalpakt in den Bereich der “länderübergreifenden Investitionsmaßnahmen” (ebd. Anlage 1). Hier muss man auf sinnvolle Kooperationen der Länder wie den Vermittlungsdienst hoffen (siehe auch Teil 2), dann kann irgendwann ein Häkchen dran. Beinahe satirisch klingt der Zusatz, dass solche Infrastrukturen “im Vergleich zu bestehenden Angeboten pädagogische oder funktionale Vorteile bieten” (ebd.) müssten. Die Vorteile sollten leicht zu begründen sein. Eine Arbeitsplattform zu haben, ist besser, als keine zu haben, und micky76 wird sich hoffentlich über eine Dienstmail freuen.
Ohne geht’s nicht: Arbeits-, Lern- und Kommunikationsplattform
Die KMK-Strategie definiert eine Arbeits-, Lern- und Kommunikationsplattform als „integralen Bestandteil schulischer IT-Strukturen“, damit orts- und zeitunabhängig darauf zugegriffen werden kann (KMK, S. 40), dazu gehöre untrennbar ein standardisiertes ID-Management. Die Entscheidung für eine bestimmte Plattform sollte dabei über die Einzelschule hinaus möglichst auf Schulträger-Ebene, idealerweise auf Landesebene getroffen werden, um so eine „Plattform als Kooperations- und Koordinierungswerkzeug“ auch über Schulhofgrenzen hinweg zu schaffen. Vor Ort interessiert das leider niemanden, jeder Schulträger sucht seine eigene Lösung. Dank Konnexitätsprinzip.
Grundsätzlich können Arbeitsplattformen von Lernplattformen unterschieden werden, manche Produkte bieten auch beides oder können für beide Bedarfe umfunktioniert werden, zur völligen Verwirrung werden heute viele Services unter dem Begriff Schulcloud zusammengefasst. Im Themenheft “Clouds” von Computer+Unterricht (Nr. 106) werden Arbeitsplattformen, LMS und Schulserverlösungen bunt gemischt. Viele Schulserverlösungen oder LMS bieten inzwischen eben auch Groupware- und Office-Funktionen. Typische Arbeits- und Kommunikationsplattformen für Schulen sind IServ, EduDocs oder MS Office 365.
Die Landesentwicklung LOGINEO NRW ist ebenfalls eine Arbeitsplattform, bietet vielleicht auch ein Office on board (eine entsprechende Weiterentwicklung ist wohl angedacht). Das Problem ist, dass der Start von LOGINEO NRW noch unklar ist. Deshalb könnte Schulen in NRW dieser Vergleich weiterhelfen, denn der Digitalpakt steht vor der Tür und alle scharren mit den Hufen.
Funktionen verschiedener Arbeits-, Kommunikations- und Lernplattformen
Beispiele für typische Lernmanagementsysteme (LMS) sind Moodle oder ILIAS (beide Open Source) oder kommerzielle Produkte wie itslearning, WebWeaver School oder lo-net2. Diese können durchaus auch zur Arbeitsorganisation innerhalb des Kollegiums genutzt werden oder als Ergänzung zu einer Arbeitsplattform wie LOGINEO NRW installiert werden. Moodle etwa soll an die Benutzerverwaltung von LOGINEO NRW angebunden werden können, sodass eine doppelte Benutzerverwaltung entfällt. LOGINEO NRW böte außerdem per Single Sign-On direkten Zugriff auf die rechtssichere und qualitätsgeprüfte Bildungsmediendatenbank EDMOND NRW der kommunalen Medienzentren.
Die meisten Arbeits- und Lernplattformen bieten auch Kommunikationskanäle an, so könnte die schulinterne Kommunikation zwischen Schülern, Eltern und Lehrern geregelt werden. In Moodle können Themen-Foren eingerichtet und Nachrichten von User zu User gesendet werden, für LOGINEO NRW ist ein gruppenspezifisches News-System vorgesehen. Von der privaten (und meist rechtswidrigen) Nutzung von Messenger-Apps oder kommerziellen Messenger-Diensten für Schulen ist abzuraten. Ein staatlicher Messenger-Ersatz – das Killer-Feature schlechthin für Schulen – ist noch nicht in Sicht.
Bundesweite Dienste bereitstellen, Insellösungen vermeiden
In jedem Fall ist zu empfehlen, dass alle Schulen einer Kommune auf das gleiche System setzen, um sich auch untereinander stärker als bisher austauschen zu können. Die KMK geht sogar so weit und bezeichnet auch ein gemeinsames System für alle Schulen einer Kommune als „Insellösung“. Aus Gründen der Kompatibilität und Wirtschaftlichkeit sei dies zu vermeiden. Diesem Umstand versucht das Land NRW mit der Entwicklung von LOGINEO NRW Rechnung zu tragen. Der derzeit geplante Funktionsumfang zeigt, dass LOGINEO NRW noch keine vollständige Arbeits- und Lern- und Kommunikationsplattform ist und beispielsweise durch Moodle oder Open-Source-Lösungen wie CollaboraOffice ergänzt werden könnte.
Derweil habe sich das Bildungsministerium in NRW in diesem Sommer IServ vorführen lassen. Im Digitalpakt sind 5 Prozent für landesweite Projekte vorgesehen, das dürften in NRW etwa 57 Mio. Euro sein. Damit könnte man bestimmt so eine Lösung einkaufen. Oder vielleicht eine ganze Firma? Es bleibt spannend. Denn an einer eigenen Lösung scheitern nahezu alle Bundesländer: Baden-Württemberg hat ella gestoppt und lässt völlig neu planen, Niedersachsen startet neben einem eigenen Cloud-Projekt noch ein Projekt mit der HPI-Cloud. Dort, wo vermeintlich eine eigene Landeslösung läuft, ist es keine wirklich eigene Entwicklung, in Bremen läuft das kommerzielle LMS itslearning (mit ucs@school dahinter), in Bayern Moodle (mebis ist Moodle), in Sachsen läuft LernSax mit WebWeaver dahinter, in Hamburg steckt hinter EduPort das orange Ur-Logineo, einzig Hessen bietet seinen Schulen ein selbst gebasteltes Portal mit vielen Funktionen, aber ohne Office. Was wiederum zu der Frage führt, warum sich nicht alle Bundesländer gemeinsam an einer Lösung versuchen? Stattdessen gibt es Flickwerk.
Fazit
Wenn wir die Frage der Bereitstellung von Dienstgeräten für Lehrkräfte hier außen vor lassen, benötigen Lehrkräfte und Lernende also eine Netzwerkstruktur, die ihnen von eigenen oder dienstlichen Geräten ad hoc den Zugriff auf eine Arbeits-, Lern- und Kommunikationsplattform innerhalb und außerhalb des Unterrichts ermöglicht.
Dabei muss der persönliche Netzwerkordner als Speicherort für eigene Dateien reibungslos in alle verfügbaren bzw. genutzten Geräte und Systeme integriert sein (z. B. per App oder WebDAV), das heißt, sowohl der interne Zugriff im pädagogischen Netz der Schule als auch der externe Zugriff über mobile oder stationäre Geräte muss möglich sein, im Idealfall per Single-Sign-On authentifiziert.
Am Markt gibt es ausgereifte Plattformen, die den Anforderungen des Datenschutzes durch DSGVO-konformes Hosting in Deutschland entsprechen. Sie kämen der staatlichen Doktrin des Open-Source-Ansatzes nach durch Softwaremodule wie Open Xchange oder Nextcloud (beide auch noch in Deutschland entwickelt), ein Office 365 bräuchte es da nicht. Und vor allem Plattformen, die sich bewährt haben und sofort einsatzfähig wären. Geld für länderübergreifende Projekte aus dem Digitalpakt wäre da. Wir in NRW warten derweil auf LOGINEO NRW. Ich bin mal gespannt.
Was dann aber immer noch fehlt, erklär ich im zweiten Teil: Identity- und Access-Management (IAM)
3 Replies to “Schulen brauchen Breitband, WLAN, Präsentationstechnik – Was in der KMK-Strategie aber alles überlesen wird (1)”