Schulen brauchen Breitband, WLAN, Präsentationstechnik – Was in der KMK-Strategie aber alles überlesen wird (2)

Teil 1: Arbeits-, Lern- und Kommunikationsplattform

Teil 2: Identity- und Access-Management (IAM)

Zusätzlich zu Plattformen (siehe Teil 1) brauchen wir in Schulen dringend einen potenten Verzeichnisdienst und einen sicheren Vermittlungsdienst, um die digitalen Identitäten der Schülerinnen und Schüler und der Lehrkräfte zu verwalten und zu schützen. Warum? Hier ein paar Beispiele.

Für’s neue Schuljahr habe ich mir überlegt, die Lyrik-Reihen multimedialer zu gestalten. Ich könnte in einer Stunde ein Lernvideo über Rilke aus EDMOND NRW individuell auf die einzelnen Schülergeräte streamen, inklusive interaktiver Übungen, jeder kann den Film im eigenen Tempo gucken, pausieren, zurückspulen, wiederholen, so oft er muss und sie will. Im Idealfall könnte ich sogar verschiedene Lernvideos über EDU-IDs an verschiedene Gruppen ausgeben (hier sind die EDMOND-Tutorials dazu; edit: EDMOND ist jetzt Bildungsmediathek NRW), wenn wir zum Beispiel Stadt-Gedichte aus verschiedenen Epochen arbeitsteilig vergleichen wollen.

Mit kollaborativer Textverarbeitungssoftware würden die Gruppen ihre Videos in einem gemeinsamen Dokument analysieren, die vorläufigen Ergebnisse könnten sie in einem digitalen Poster verarbeiten und im Plenum projizieren und erläutern. Und schließlich könnte ich den Lernprozess oder die Unterrichtsreihe per Online-Fragebogen evaluieren und durch die automatische Live-Auswertung unmittelbar nachbesprechen. (Factsheets zu ein paar Anwendungen habe ich hier zusammengestellt.)

Das digitale Poster der einzelnen Gruppen würde in einer persönlichen Arbeitsumgebung der Schülerinnen und Schüler gespeichert, damit daran ggf. weitergearbeitet werden könnte oder damit das Ergebnis in das schülereigene Lernportfolio aufgenommen und in anderen Zusammenhängen darauf zurückgegriffen werden könnte. In einem weiteren Schritt würden die Gedichte nämlich mit modernen Stadt-Affen und anderen Songs verglichen und die Erkenntnisse der Urbanisierung und ihrer Auswirkungen in Sprache und Kultur multimedial auf einer Website präsentiert.

Digitale Lernmittel sind multimedial

Potenzial digitaler Schulbücher (CC-BY-SA 4.0 Beat Döbeli Honegger (2016): Mehr als 0 und 1 – Schule in einer digitalisierten Welt hep verlag, www.mehrals0und1.ch)

Der Konjunktiv ist kein Zufall. Denn mein multimediales Lernszenario ist 2019 immer noch Wunschkonzert. Damit es möglich wird, müssen Geräte, Dienste und Bildungsmedien an jedem Ort und jederzeit verfügbar sein. Ich müsste über ein Netzwerk Zugriff auf Bildungsressourcen innerhalb und außerhalb der Schule haben, ohne dafür einen PC-Raum, einen Laptop oder einen Beamer reservieren zu müssen. Über das Netzwerk müsste ich auf eine Arbeits- und Lernplattform zugreifen können, auf das WLAN, auf eine Mediendatenbank, auf Peripheriegeräte wie Netzwerkdrucker und so weiter.

Meine Schülerinnen und Schüler müssen über Geräte Zugriff auf die eingesetzten Medien haben, ohne dafür ihr eigenes Gerät nutzen zu müssen, oder im Falle eines BYOD-Konzeptes, ohne dafür ihr eigenes Datenvolumen nutzen zu müssen, weil sie das schulische WLAN nutzen können. Zudem müssen alle Geräte ohne größere Installation oder Konfiguration oder dutzende von Adaptern auf die installierten Projektionsgeräte zugreifen können, im Idealfall kabellos via AirPlay, Chromecast oder Miracast.

Schülergeräte müssen auf eine Plattform mit entsprechender gestufter Freigabemöglichkeit zugreifen können, damit sie ihre Ergebnisse auch mit anderen austauschen können. So könnten die Schülerinnen und Schüler wie im obigen Beispiel gemeinsam ihre Ergebnisse multimedial dokumentieren, in einem Klassenprojekt Notizen zusammentragen oder über Schulen hinweg oder international mit anderen Lernenden zusammenarbeiten. Das wäre schon fast 2019-like, na, sagen wir 2010.

Die KMK beschreibt weitere gesamtstaatliche Aufgaben, die im Bereich der Bildungsmedien noch zu lösen sind, von der Frage der Qualität über die technischen Probleme bis hin zu rechtlichen Aspekten (vgl. KMK, Kap. 2.2.2).

“Ich hab’ mein Passwort vergessen”

Was meines Erachtens aber völlig unterschätzt wird, ist das Problem der häufigen Authentifizierung. Lehrer wie Schüler müssen auf Dienste und Medien zugreifen können, ohne sich ständig irgendwo an- und vor allem abmelden zu müssen. Ein Ziel der KMK-Strategie ist es, dass “zunehmend mehr digitale Bildungsmedien in Lehr- und Lernprozessen integriert” werden. Dafür “ist es sinnvoll, eine standardisierte Lösung für die Authentifizierung einzusetzen.” (KMK, S. 41f.) Denn auch, wenn meine Schule schon eine Arbeit- und Lernplattform hätte, eine große Erleichterung wäre das im Unterricht erst, wenn dahinter ein universeller Verzeichnisdienst läuft. Denn ich muss mich dienstlich mit zahlreichen Accounts rumschlagen, und wenn ich davon in einer Unterrichtsstunde auch nur ein paar brauche, ist der Lernfluss dahin, Diagnose Medienbruch.

Ich habe angefangen, meine Accounts zu zählen, bin aber noch nicht fertig. Für die von der Schule selbst gehostete Dienstmail (es gibt ja meist noch keine vom Dienstherrn) habe ich einen Account beim Provider (1), für den selbst gebastelten Google-Schulkalender einen weiteren (2), dann den für den Vertretungsplan auf Moodle (3). Sollte ich mich aus einem aberwitzigen Grund für die E-Book-Variante des Schulbuchs entschieden haben, gibt es für die Plattform oder App des Verlags einen Account (4). In der Oberstufe arbeiten wir leider mit einem Lehrwerk eines anderen Verlags (5), in meinem zweiten Fach kommt noch ein Account eines dritten Verlags dazu (6).

Ins pädagogische Netzwerk der Schule komme ich nur innerhalb der Schule (7), ins Verwaltungsnetz ebenso (8), WLAN gibt es zwar offiziell nicht, aber der Informatiklehrer hat eins gebastelt, Account Nummer 9. Die Online-Textverarbeitung muss ich mir über den Browser organisieren, da es keine Arbeitsplattform gibt, oder mein privates Office 365 nutzen, Account Nummer 10. Jetzt habe ich fast den Account für den Landesmediendienst EDMOND NRW vergessen, Nummer 11, auch andere Landes-Apps wie BIPARCOURS (12) oder die landesweite Edkimo-Lizenz (13) kann ich nicht mit einem einzigen Account managen. Dazu kommen die rein beruflich genutzten Accounts bei Adobe (14), Book Creator (15), Coach’s Eye (16), Mind42 (17), CmapTools (18), Tutory (19), Padlet (20), und das sind lange nicht alle.

Sollte ich innerhalb einer Unterrichtsstunde auch nur einen Teil dieser Zugänge benötigen – im beschriebenen Lernszenario wären es bis zu sieben Dienste -, ist die Zeit mit Anmelden rum, von den vergessenen Passwörtern der Schülerinnen und Schülern ganz zu schweigen. Eine kleine Umfrage unter Lehrkräften auf Twitter ergibt ein erstaunliches Ergebnis: Knapp zwei Drittel der Lehrkräfte im #Twitterlehrerzimmer jonglieren mehr als 15 Accounts.

Full Service und Datenschutz durch Identity- und Access-Management (IAM)

Weitgehend gelöst werden kann so etwas über ein zentrales Identity-Management (IDM), ein vielfach unterschätzter Aspekt in der schulischen IT, stellt Lehrer und Multimediaberater Maik Riecken schon 2015 fest. In der Grafik der IT-Firma Univention ist das angedeutet. Das zentrale IDM bekommt den Nutzerimport von der Schulverwaltungssoftware und stellt schulinterne Dienste über ein Portal bereit. Externe Dienste können angedockt werden.

© Univention (https://www.univention.de/produkte/ucsschool/vorteile-schultraeger/)

Das Open-Source-Paket UCS@school von Univention scheint mir ein sehr durchdachtes und ausgereiftes System am Markt zu sein, eine flexible All-in-One-Lösung, die das IAM in den Mittelpunkt stellt und von dort aus alle Dienste bestückt, etwa die Groupware Open Xchange, das MDM für Mobilgeräte, den WLAN-Zugang, eine mögliche Lernplattform, Client-Management, Paketverteilung usw., auch der Messenger Rocket.Chat ist ein Modul, das Killer-Feature für Schulen. Die eine Schule kann sich für ein Open Office entscheiden, die andere kann proprietäre Dienste wie Office 365 oder Googles Suite for Education per Konnektor anbinden.

Viele große und kleine Schulträger nutzen UCS. Die Stadt Bremen managed mit UCS@school über 80.000 Accounts und über 40.000 BYOD-Geräte. Die Stadt Köln migriert aktuell seine 261 Schulen nach UCS@school und verwaltet damit demnächst rund 135.000 Accounts, Düsseldorf ist auch auf dem Weg. Auch der Landkreis Kassel mit vielen verstreuten Schulen betreibt UCS@school problemlos, die westfälische Stadt Beckum lässt das System für ihre Schulen auf NetCologne-Servern im 100 Kilometer entfernten Köln laufen. Die baden-württembergische Linux-Musterlösung paedML basiert auf UCS, die Schweiz hat einen Rahmenvertrag über UCS (und Threema und Microsoft und Google …) für alle Schulen. Alles möglich, alles schon vorhanden.

Univention schlägt darüber hinaus schon 2017 einen staatlichen Vermittlungsdienst vor (siehe Slides), der in Kombination mit einem IDM den Zugang zu digitalen Bildungsmedien regelt. Wie die F.A.Z. berichtet, wird die Idee aus Mitteln des Digitalpakts länderübergreifend projektiert, 5 Prozent sind für solche Maßnahmen vorgesehen, das wären mal eben 250 Mio. Euro.

Fazit

Für viele digitale Lernmittel, Apps und Software sind Benutzerverwaltungen und Logins notwendig. Für die schulische Infrastruktur vom WLAN über die Dienstmail bis zur Lernplattform ebenfalls. All diese Dienste und Ressourcen müssen im Unterricht reibungslos zur Verfügung stehen. Das Bündnis für Bildung weist auf die Schwierigkeiten der Interoperabilität hin, und besonders die nötigen Logins stören das multimediale Lernen.

Ein zentrales IDM wird aber häufig nicht systematisch mitgedacht. Dabei bieten Firmen wie IServ, SBE oder Univention mit ihren Produkten kleinere und größere Systemlösungen, die viele Komponenten vereinen und häufig auch vollständige Netzwerklösungen inklusive WLAN-Controller und Mobile-Device-Management (MDM) liefern. Einige werfen auch die Frage auf, warum die Bundesländer sich nicht alle zusammentun oder warum das Bundesland, dass in zwei Jahren zu den Top Ten Europas bei Künstlicher Intelligenz gehören will, an einer eigenen Lösung bastelt, wenn bewährte Open-Source-Systeme am Markt sind.

Mit einem Teil der Fördersumme sollte ein IDM gekauft und ein staatlicher ID-Vermittlungsdienst entwickelt werden. Der Vermittlungsdienst würde zwischen die schulische Benutzerverwaltung und die externen Dienste und Medienanbieter geschaltet, er vermittelt nach außen die Info, dass Lehrer wie Schüler korrekt authentifiziert sind, die Daten selbst würden weitgehend bei der Schule bleiben. Damit könnte die Übertragung von personenbezogenen und personenbeziehbaren Daten minimiert werden.

Aus dem Identity-Management würde ein Identity- und Access-Management (IAM), ein vertrauenswürdiger, staatlicher Service, um den Datenfluss zu minimieren und die digitalen Identitäten der Schülerinnen und Schüler so gut es geht zu schützen. Ehrlich gesagt, habe ich lange nicht mehr so viel Hoffnung in ein staatliches Projekt gehabt.

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