In diesem schlaglichtartigen Beitrag zur Politik um die digitale Bildung versuche ich, meinen Kolleginnen und Kollegen einen Einstieg anzubieten. Weitere zur wissenschaftlichen Debatte, zur Unterrichtspraxis usw. folgen. Gibt es natürlich alles schon, weiß ich, aber im besten Sinne einer konstruktivistischen Bildungstheorie handelt es sich natürlich gleichzeitig auch um meine persönliche Reflexion zum Thema, meine subjektive Aneignung, ich mache mir Zusammenhänge klar, im besten Fall erreiche ich eine re-definition meiner subjektiven Theorien von Unterricht (Wahl 2013³). Es handelt sich dabei wohlgemerkt um einen sehr kleinen Ausschnitt aus der aktuellen Debatte.
#1 Die politischen Akteure
In 2016 nimmt die bildungspolitische Debatte mächtig Fahrt auf. Als die KMK im Dezember 2016 ihr neues Strategie-Papier zur Bildung in einer digitalen Welt vorlegt (im April ’16 erschien der Entwurf), ist das World Wide Web über 20 Jahre alt, das interaktive Web 2.0 auch schon 10 Jahre und das iPhone seit 9 Jahren auf dem Markt. Aber immerhin verpflichten sich die Bundesländer darin doch noch zur digitalen Bildung, von der Primarstufe an, integriert in alle Fächer. KMK-Präsidentin Claudia Bogedan hatte sich das Digitale auf die Agenda ihrer Amtszeit (2016) geschrieben. Sie wolle die Schulen fit machen für’s 21. Jahrhundert.
Schon 2012 soll die KMK-Erklärung Medienbildung in der Schule dazu beitragen, “Medienbildung als Pflichtaufgabe schulischer Bildung nachhaltig zu verankern”. Der didaktisch-methodisch sinnvolle Gebrauch neuer (heute: digitaler) Medien soll Chancen für die Gestaltung individueller und institutioneller Lehr- und Lernprozesse aufzeigen. Es gilt das Primat der Pädagogik.
Allein damit ist das Wichtigste schon geschrieben. Nur liest es kaum einer. Im Jahr 2012. Dabei veröffentlicht die KMK schon 1995 die Erklärung “Medienpädagogik in der Schule”. 2002 bringt die UNESCO den Begriff Open Educational Resources (OER) ins Spiel. Da ahnt die deutsche Bildungslandschaft noch nichts von den Möglichkeiten des digitalen Lehren und Lernens.
Die Europäische Kommission sieht die Qualifizierung von Lehrerkräften als wesentliche Voraussetzung für eine nachhaltige Entwicklung der europäischen Gesellschaft zur (digitalen) Informationsgesellschaft. Mit der Opening-Up-Education-Initiative fördert sie den Austausch über Methoden des digitalen Lernens, vor allem zu projektbasiertem Lernen und durch die Entwicklung und Verfügbarkeit von OER. Immerhin springt der Bund 2015 noch auf den Zug auf und fördert mit Bundesmitteln die ersten zwei Studien zu OER. Einhellige Ergebnisse: OER wird positiv gesehen. Die Ausschreibung der Studien allerdings wird auch kritisiert, die wohlwollenden Ergebnisse seien vorhersehbar gewesen. Mir soll’s egal sein, OER ist wichtig.
Und nicht nur OER wird wichtig. Zwischenzeitlich attestieren Studien, wie sehr Deutschland nicht nur in der analogen Bildung hinterherhinkt. Die Trends der PISA-Studien (OECD) spiegeln sich auch bei Computer-Kompetenzen wider. Deutschlands Schüler belegen laut ICILS-Studie (Bos/Eickelmann et al, 2014) einen Platz im hinteren Mittelfeld. Kein Wunder, deutsche Lehrer nutzen viel seltener digitale Medien im Unterricht als in anderen Ländern (Initiative D21, Studie Schule Digital, 2016). Das liegt nicht zwangsläufig nur an den mangelnden Medienkompetenzen der Lehrkräfte, sondern eben auch an der mangelhaften Ausstattung deutscher Schulen. Beides bedingt sich letztlich auch.
In Deutschland ist der KMK-Beschluss ein Signal für die Länder. NRW entwickelt ein digitales Leitbild. Als erstes Bundesland. Das heißt nicht, das NRW vorne liegt beim Digitalen. In der Fläche ist es mau, aber es gibt ein paar prämierte Projekte und Prototypen, auf die man stolz verweist. Seit 2011 wird der Medienpass NRW angeboten, seit 2014 gibt es das erste multimediale Schulbuch für Geschichte (mBook) und seit 2015/16 ist das vergleichbare BioBook in der Pilotphase. Die (staatsferne) Landesanstalt für Medien NRW zeichnet für die deutschen Inhalte auf wegweisenden Plattformen wie www.klicksafe.de oder www.handysektor.de (mit-)verantwortlich und initiiert tolle Projekte im Bildungsbereich wie die Ausbildung von Medienscouts an Schulen in NRW.
Die Struktur der vielgliedrigen Körperschaften in NRW behindert aber auch so manche Innovationen. Medien-Angebote, die eigentlich zentral bereitgestellt werden müssten, kommen nur schlecht zur Entfaltung: der Online-Mediendienst EDMOND NRW ist in Trägerschaft der Landesmedienzentren, fristet aber trotz wirklich exzellenter Bildungsmedien immer noch ein stiefmütterliches Dasein. Für die pädagogischen Konzepte im Lande soll die Medienberatung NRW sorgen, die am ehesten die Funktion als innovativer staatlicher think tank übernehmen kann. Sie arbeitet zwar im Auftrag des MSW NRW, ist aber ebenfalls ein Angebot der beiden Landschaftsverbände LVR und LWL.
Seit Jahren bündelt die Medienberatung NRW Ressourcen in der Entwicklung einer IT-Infrastruktur für Schulen (LOGINEO NRW), die von IT-Spezialisten längst geliefert werden könnte, Ressourcen, die in pädagogische Konzepte fließen könnten, wie der Name “Medienberatung” es ja auch sagt. Personalräte und Landesdatenschützer wollen bei LOGINEO NRW alles bis ins Kleinste reglementieren, ehe Schulen endlich eine verlässliche IT-Infrastruktur bekommen. Im Jahr 2017. Ironischerweise kündigt Bundesbildungsministerin Johanna Wanka auf dem nationalen IT-Gipfel im November 2016 eine Schul-Cloud an, die vom Hasso-Plattner-Institut entwickelt werden soll. (Edit 3.5.: Niedersachsen entwickelt nun ebenfalls eine eigene Cloud.) Man hätte sich mit NRW ja mal absprechen können.
Der IT-Gipfel 2016 pusht die Debatte. Und Landtagswahlen pushen natürlich. Das aufgelegte 2-Milliarden-Förderprogramm “Gute Schule 2020” kommt in NRW gut an. Das bringt zins- und tilgungsfreie Fördergelder für Kommunen ab 2017. Hier wird im Mai gewählt. Auch Wanka verspricht einen “DigitalPakt#D” mit 5 Milliarden Euro vom BMBF für digitale Infrastruktur – rechnerisch immerhin 125.000 Euro pro Schule auf 5 Jahre verteilt. Und das ganze am Kooperationsverbot vorbei. Im Bund wird 2017 schließlich auch gewählt. (Edit 3.5.: Schäuble hat die Gelder inzwischen verweigert, trotzdem werden die 5 Milliarden in den Medien weiter kolportiert.)
Der digitale Wandel ist politisch ganz oben angekommen, auch und besonders in der Bildung. Wofür Löhrmanns 2 Milliarden und Wankas 5 Milliarden investiert werden könnten, ist mittlerweile Konsens. Als notwendige digitale Infrastruktur wird Breitband gefordert, dazu WLAN-Ausleuchtung und ein Netzwerk für mobile Geräte. Das ist 2017 in jedem Haushalt lange Standard. Dass nur 50 Mbit/s Mindestbandbreite im digitalen Leitbild NRW stehen, ist ärgerlich kurzsichtig, aber immerhin stehen sie da. Beim Einsatz von eigenen mobilen Geräten sind sich auch alle einig, egal ob die Geräte nun eigene (Bring Your Own Device, BYOD) oder gemietete sind (Bring Your Rented Device, BYRD).
Von den Gewerkschaften kommt nicht viel. Die großen Verbände haben keine nennenswerten, innovativen Konzepte zur digitalen Bildung. Der Vorsitzende des Deutschen Lehrerverbandes, Josef Kraus, fordert gar ein Verbot digitaler Bildung bis zum 12. Lebensjahr. Das ist natürlich Quatsch, man sei ja auch nicht gegen das Wetter, pointierte Frank Schirrmacher mal. „Die Schulen brauchen dringend den Anschluss an das digitale Zeitalter. Aber was nützt uns die Breitbandverbindung, wenn der Putz von den Decken und Wänden der Klassenzimmer bröckelt“, klagt GEW-Vorsitzende Marlies Tepe. Die GEW NRW rückte das Thema beim Bochumer Kongress 2017 etwas mehr in den Blickpunkt. Angesichts eines Investitionsstaus von 34 Mrd. Euro werden viele Kommunen sicher erst marode Gebäude sanieren, ehe sie auch nur einen Klassenraum mit WLAN ausleuchten. Immerhin legt die KMK hier den Finger in die Wunde und mahnt die Schulträger an:
“Die Voraussetzungen in den Ländern und Kommunen sind bislang noch äußerst unterschiedlich. Zum einen bestimmt vielfach die Finanzsituation der Schulträger die Qualität der Ausstattung der Schulen. Zum anderen bestehen im ländlichen Raum und in kleineren Kommunen Defizite bei der Breitbandanbindung. Vielerorts werden eigenständige Konzepte und Lösungen entwickelt. Diese ‘Insellösungen’ beeinträchtigen Kompatibilität und Wirtschaftlichkeit. Ziel der gemeinsamen Anstrengungen muss daher die flächendeckende Schaffung vergleichbarer Standards und Qualität sein.”
Für die GEW gibt es einen Beschluss des Gewerkschaftstags: https://www.gew.de/fileadmin/media/publikationen/hv/GEW/GEW-Beschluesse/Beschluesse_GT_2017/3__Bildungspolitik/3.26_Bildung_in_der_digitalen_Welt_FV.pdf