Im letzten August schrieb ich noch, dass die meisten Schulen, die ich kenne, noch keine Cloud, keine Arbeitsplattform, viele auch keine Lernplattform hätten. Daran hat sich in acht Monaten auch nicht viel geändert, so viel kann ich als Medienberater für Schulen mit Sicherheit sagen. Und da stehen wir nun, #homeschooling, und kaum einer ist vorbereitet.
Als die Schulen schlossen, haben deshalb die meisten Lehrkräfte fleißig private E-Mails der Eltern gesammelt und verschicken seitdem ihre Aufgaben und Rückmeldungen von zuhause, nicht selten mit Absendern wie micky76@maus.com oder schlimmer, weil dienstliche Mailadressen fehlen. Daher sind viele Schulen aktuell auf der Suche nach digitalen Plattformen, um sich anders aufzustellen.
Für die Wahl einer Plattform, die ein logischer Baustein im Medienkonzept ist und nun mitunter vorgezogen werden soll, haben meine Kollegin @lehnski und ich Fragen formuliert, die aus unseren Erfahrungen als Medienberaterin und Medienberater resultieren. Die Leitfragen können Schulleitungen, Medienkoordinatoren und Steuergruppen Hilfestellung geben bei der Wahl einer Plattform. Datenschutzrechtliche, technische und administrative Aspekte sind natürlich auch zu berücksichtigen, können wir aber nur andeuten. Diese Aspekte müssen mit den behördlichen Datenschutzbeauftragten und den IT-Ingenieuren der Dienstleister geklärt werden. Hier kann die Orientierungshilfe zu Online-Lernplattformen (PDF) der Datenschutzkonferenz (DSK) des Bundes und der Länder helfen.
Arbeits-, Kommunikations- oder Lernplattform?
Ganz vorne auf der Wunschliste steht meist, die Kommunikation mit Eltern und Schülerinnen und Schülern zu vereinfachen: Nachrichten und Elternbriefe automatisch verschicken, gerne mit Bestätigungsfunktion, Aufgaben an Schülerinnen verschicken, am besten mit dem Hinweis, welcher Schüler seine Aufgaben per Post braucht.
Zahllose Anbieter solcher Dienstleistungen locken aktuell mit Gratismonaten. Hier muss man genau hinschauen, denn manche Angebote enden in “90 Tagen” oder vor oder nach den Sommerferien (nach derzeitigem Stand, die Angebote werden ja vielleicht auch verlängert). Die aufwändige schulweite Einführung der Plattform müsste dann in eine kostenpflichtige Version umgewandelt werden (verständlich seitens der Dienstleister) oder wäre für die Katz gewesen. Hier muss man aber auch gut hinschauen, weil gerade viele eigenartige Angebote aus dem Boden sprießen (darüber werde ich die Tage noch gesondert schreiben müssen, darunter scheinen auch neue, fragwürdige Angebote zu sein >> Update: Hier geht’s zum Artikel).
Vorüberlegungen
Vor der Auswahl einer Plattform sind so einige Fragen zu stellen, die nicht nur jetzt wichtig sind. Aber gerade jetzt im Fernunterricht ist zu fragen, ob neben Nachrichten, Arbeitsblättern und Aufgabenpaketen nicht das selbstbestimmte Lernen stärker in den Blick genommen werden muss? Wie können Schülerinnen ihr Lernen selbst in die Hand nehmen, wie können sie ihr Lernen digital in Portfolios oder Projekten sichtbar machen? Wie können sie Lernergebnisse mit Mitschülern oder Lehrkräften teilen oder teilweise im Web veröffentlichen? Wie können sie ihre Lernprozesse reflektieren? Wie können die Lehrkräfte zu all dem und die Mitschüler sich untereinander Feedback geben? Um nur einige Fragen anzudeuten, die ganze Liste findest du unten.
Schülerperspektive sollte im Vordergrund stehen
Kann das Lernen auf einer Plattform so organisiert werden, dass Wochenpläne, Lernbüros oder Freiarbeit für die Kleinen abgebildet werden können, oder Epochenunterricht, Lernzeiten oder fächerübergreifendes, projektorientiertes Lernen für die Großen? Dann wäre eine ganz andere Plattform zu suchen als eine Kommunikationsplattform mit Schwerpunkt Elternnachrichten. Da für uns das Lernen im Vordergrund steht, stellen wir auch die Fragen zum „digitalen“ Lernen an den Anfang der Leitfragen.
Die Leitfragen mögen also der Schulleitung, einer Medienkoordinatorin oder einer Steuergruppe helfen, innerhalb der Schule in dieser Sache weiter zu kommen. Wir verwenden dabei teilweise die Formulierung “Schülerinnen und Eltern”, weil in den unteren Jahrgängen oft nur Eltern den Zugang zu einer Plattform erhalten. Die Fragen können natürlich nicht abschließend sein, weil die Bedarfe vieler Schulen ganz unterschiedlich sind, helfen aber hoffentlich bei den Überlegungen in die ein oder andere Richtung. Ergänzungen gerne in die Kommentare. Noch eins vorweg. Wir haben noch keine Plattform gefunden, die alle Bedürfnisse einer Schule bedient, aber mit zwei oder drei sich ergänzenden Plattformen sollte man eine Schule schon weitgehend digital abbilden können – oder umkrempeln.
Schulen mit existierender Plattform
Wenn eine Schule bereits eine Lernplattform wie Moodle oder itslearning mit den Schülerinnen und Schülern und Eltern etabliert hat, sollte sie für’s erste gut aufgestellt sein. Learning Management Systeme (LMS) bieten neben Kursräumen, Aufgabenmodulen und Lernaktivitäten in der Regel auch Funktionen zur Kommunikation (Foren, Messenger, Chat). Hinsichtlich des Punktes Zusammenarbeit im Kollegium müsste überlegt werden, ob eine Arbeitsplattform ergänzt werden sollte, da LMS nicht immer für die Abbildung von schulischen Arbeitsprozessen auf der Organisationsebene ausgelegt sind. Auch die für uns wichtige Funktion Schüler-Portfolio und Reflexion bieten sie nicht immer, lassen sich aber je nach System auch leicht ergänzen. So kam an das LMS Moodle sehr leicht das Portfolio-System Mahara angedockt werden, in dem Schülerinnen ihre Lernprodukte organisieren können. Für Moodle gibt es auch ein Video-Konferenzsystem: BigBlueButton kann als Plugin installiert werden.
Wenn eine Schule eine Arbeits- oder Kommunikationsplattform wie IServ oder das umstrittene Microsoft Office 365 oder G Suite for Education etabliert hat, und auch die Schülerinnen und Eltern einen Zugang haben, sollte sie für die nächsten Wochen ebenfalls gut gerüstet sein. Die meisten solcher Systeme bieten eine Vielzahl an nützlichen Funktionen für den Schulalltag. In puncto Schüler-Portfolio und Reflexion bieten IServ und O365 zwar kein natives Modul, aber mit Datei- und Ordnerfreigaben ließe sich so etwas improvisieren, mit einem OneNote-Notizbuch ebenfalls, wenn die Freigabemöglichkeiten durch den Admin entsprechend eingestellt sind. Die G Suite for Education hält hierfür unter anderem Google Sites bereit.
Schulen ohne Plattform
Wenn eine Schule keine Plattform hat – und viele Schulen haben uns besonders in letzter Zeit dazu angefragt -, dann ist das Angebot an Produkten am Markt vielfältig und schwer vergleichbar, und auch Vorsicht ist geboten, manch einer wittert einen schnellen Euro. Viele Bundesländer versuchen sich seit längerem an einer eigenen Schul-Cloud, der Bund mit der HPI-Entwicklung noch dazu. Unser Bundesland NRW stellt Lehrkräften mit LOGINEO NRW eine Arbeitsplattform kostenlos zur Verfügung. Über den Funktionsumfang kann man sich auf www.logineo.nrw.de informieren. Derzeit können noch keine Schülerzugänge angelegt werden, eine Ordnerfreigabe per Link ist aus Sicherheitsgründen nicht möglich, auf diesem Weg könnte kein Material bereitgestellt werden. Möglich wäre das über die Dienstmails, die das System zur Verfügung stellt. Wer hier weitere Möglichkeiten sucht, müsste also ergänzende Plattformen in Erwägung ziehen.
Leitfragen*
- Kann auf der Plattform das Lernen für jede einzelne SchülerIn z. B. per Wochenplan, Lerntagebuch, Lernbüro oder als Epochenlernen, Lernzeit oder in Projekten organisiert werden?
- Kann der/die SchülerIn sein/ihr Lernen in einem persönlichen Bereich (meist mit Portfolio bezeichnet) selbst organisieren, beispielsweise Lernergebnisse darstellen und Lernprozesse reflektieren? Kann sie diese Ergebnisse ganz oder teilweise an den Lehrer oder Mitschüler oder auch Externe (z. B. ein Experten- oder Bewerbungsportfolio) freigeben?
- Gibt es zu der Plattform eine von LehrerInnen genutzte Community, in der Aufgaben miteinander ausgetauscht werden können, können beispielsweise Themen oder Lernpfade oder Kompetenzraster übernommen werden?
- Kann die Lehrkraft Lernerfolgsüberprüfungen und Selbsttests anlegen?
- Bekommt der/die SchülerIn automatisch Feedback zu den gestellten Aufgaben?
- Kann die Lehrkraft einer ganzen Klasse, einzelnen Gruppen und jeder/jedem einzelnen SchülerIn Feedback geben?
- Können Kompetenzraster/Curricula eingebunden werden?
- Kann die Lehrkraft die Zusammenarbeit der SchülerInnen untereinander ermöglichen? Können Kursbereiche oder Ordner und Dateien für einzelne und Gruppen freigegeben werden?
- Können die SchülerInnen selbst Gruppen bilden oder Ordner und Dateien freigeben?
- Können Dateien (Texte, Tabellen, Präsentationen) gemeinsam und gleichzeitig bearbeitet werden (kollaboratives Office)?
- Können Mindmaps, Umfragen, Quizzes oder Wikis erstellt und gemeinsam bearbeitet werden?
- Können auch SchülerInnen o. g. Aufgaben erstellen und freigeben?
- Können Leistungsüberprüfungen im “Klassenarbeitsmodus” durchgeführt werden?
- Kann der Lernfortschritt der SchülerInnen sowohl für die SchülerInnen selbst als auch für die Lehrkraft dargestellt werden?
- Welche Module bietet die Plattform, um die Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern (und den Eltern) zu pflegen? Z. B. Mail, Nachrichtenkanal/Newsfeed, Chat, Messenger, Foren, Video-Chat?
- Ist die Plattform über ein responsives Webportal erreichbar, d. h. für Mobilgeräte optimiert?
- Ist sie auch über das Internet (von „außen“) erreichbar, wenn sie lokal auf dem Schulserver läuft?
- Gibt es zusätzlich eine App oder ist sogar die Installation einer App auf Mobilgeräten notwendig? Gibt es die App für alle Betriebssysteme, also für Android, iOS/iPadOS und Windows?
- Können einfach, sicher und verlässlich Nachrichten übermittelt werden? Können Nachrichten terminiert und automatisch versendet werden?
- Können Anlagen (PDF, Bild) an Nachrichten angehängt werden?
- Kann der Empfang der Nachricht von Schülerinnen und Eltern bestätigt werden?
- Können dringende Nachrichten auch per Push-Notification verbreitet werden?
- Können Schülerinnen und Eltern auch einzeln angeschrieben werden? Gehen diese Nachrichten nur raus (Einbahn-Kommunikation) oder können Schülerinnen und Eltern auch antworten (wenn gewünscht), gegebenenfalls temporär (z. B. auf Klassenfahrten)?
- Kann man nur asynchron kommunizieren (Nachrichten, Forum) oder auch zeitgleich (Messenger, Gruppen-Chat, Video-Chat)?
- Kann die Organisationsstruktur der Schule digital abgebildet werden? Können Klassen, Kurse und Gruppen automatisch per Import eingerichtet werden? Können also mehrere Benutzer einer Gruppe zugeordnet werden, z. B. alle Lehrer einer Klasse oder alle Schüler einer Lehrerin oder alle SchülerInnen einer AG aus verschiedenen Jahrgängen?
- Können Fragen der Schulentwicklung online diskutiert werden und können Gremienentscheidungen z. B. per Umfrage/Abstimmung herbeigeführt werden?
- Können Kalender für verschiedene Gruppen mit verschiedenen Berechtigungen erstellt werden?
- Kann ein Kalender mit gängigen Programmen (Outlook, Google Kalender) und Geräteklassen (PC, Tablet, Smartphone) synchronisiert werden (iCal)?
- Können Stundenplan und Vertretungsplan in Echtzeit angezeigt und z. B. in die Homepage eingebettet werden?
- Gibt es ein internes “Schwarzes Brett”?
- Gibt es ein externes “Schwarzes Brett”/Infoscreen?
- Können Ressourcen (Räume, Tabletkoffer, Laptopwagen) gebucht werden?
- Gibt es ein digitales Klassenbuch mit z. B. Inhalten, Krankmeldung, Urlaubsanträgen und Absenzverwaltung?
- Gibt es ein Modul für Kurs- und AG-Wahlen oder Elternsprechtagbuchung?
- Werden vom Anbieter Datenschutz und Datensicherheit gemäß DSGVO, Bundes- und Landesdatenschutzgesetz sowie Schulgesetz und Verwaltungsvorschriften gewährleistet?
- Stellt der Anbieter einen AVV und weitere Unterlagen bereit (Auftragsdatenverarbeitungsvertrag, Verfahrensverzeichnis, Einverständniserklärung, Löschfristen, Auskunftserteilung bei Anfragen usw.)?
- Sind die durchschnittlichen Anwendungen datenintensiv? Reicht die Internetanbindung der Schule/des lokalen Schulservers für Up- und Download der Datenmengen?
- Welche Spezifikationen sind für den (Schul-)Server nötig?
- Welche Wartungsintervalle und welchen Support gibt es durch den Anbieter?
- Welche einmaligen Kosten
- (z. B. für spezielle Server) und welche regelmäßigen Kosten fallen an (Lizenzmodell)? Welche Zusatzkosten können anfallen (z. B. für Extra-Support)?
- Ist die Benutzerverwaltung intuitiv? Können Benutzer einfach importiert und aktualisiert werden, z. B. per CSV-Datei? Können die Benutzer automatisch synchronisiert werden, z. B. per LDAP-Anbindung?
- Gibt es auf der Plattform ein vordefiniertes Rechte- und Rollenkonzept oder müssen Lehrer-, Schüler- oder Elternrollen angelegt und mit Rechten ausgestattet werden?
- Gibt es weitere vordefinierte Rollen, z. B. für Schulsozialarbeiter, Hausmeister, Elternvertreter, externe Kooperationspartner?
- Ist eine Verteilung von Software und eine Administration von schuleigenen (Mobil-)Geräten (MDM) mithilfe der Plattform möglich?
* Bei allen Überlegungen muss man die Vorgaben zur Verarbeitung personenbezogener Daten gemäß der gültigen Rechtsvorschriften beachten. So schließt sich ggf. die Nutzung verschiedener Module einer Plattform gegenseitig aus, sofern keine logische Trennung der Netze gewährleistet werden kann. Die behördlichen Datenschutzbeauftragten sind in jedem Fall hinzu zu ziehen. Für Schulen in NRW gibt es hierzu eine Handreichung.
Download Leitfragen mit Checkliste (CC 0)
Google Tabelle: Leitfragen mit Checkliste (immer aktuelle Version, 04/2020, CC 0)
Übersichten
Hier gibt es verschiedene Übersichten mit Anbietern von Damian Duchamps:
- Schwerpunkt Kommunikation: https://padlet.com/dee_townsend/schulplattformen
- Schwerpunkt Organisation: https://padlet.com/dee_townsend/schulplattformen_organisation
Eine weitere ausführliche Übersicht mit Funktionen und Kosten zu den gängigsten Plattformen, die meines Wissens verschiedene Lehrkräfte und MedienberaterInnen sammeln (auch CC0): https://docs.google.com/spreadsheets/d/18lrfC7_xQwN5lGVIVp9H71_Zujufg40haMKmvjTouoU/edit#gid=0
Lieber Marc,
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